HR, Forschungsmüll und Herr Müller.

HR, Forschungsmüll und Herr Müller.

Es war einmal “Herr Müller”. Aber nicht einfach nur “Herr Müller”. Nein! Wo denken Sie hin? Herr Müller ist nämlich ein wahrer Held. Ein Titelheld sozusagen. Einmal Professor, hin und zurück. Bei Dr. re. nat. links abgebogen und dann noch mal haarscharf am nächsten Dr. vorbei. Tadaaaa… Herr Müller ist ein Prof. Dr. Dr. rer. nat. Ein gar schlauer Schlauberger – ganz ohne Zweifel. Bleiben wir aber einfach bei „Herr Müller“. Sie wissen ja, wen ich meine.

Man stelle sich vor: besagter Herr … Müller residiert in seinem Büro. Auf seinem Nappaleder-Sessel an seinem Mahagoni-Schreibtisch. Er sortiert seine sündhaft teuren Füllfederhalter, dreht ne’ Runde auf seinem Drehstuhl… und hätte er einen Drücker auf dem Tisch, er würde das Fräulein Piepenkötter aus dem Vorzimmer zum Diktat bitten… denn… Herr Müller langweilt sich. Da ist sie nämlich wieder. Diese kleine, gemeine Zeit zwischen der letzten und der nächsten Vorlesung. “Freizeit” sagen manche dazu. Der schlaue Leser hat an dieser Stelle bereits messerscharf kombiniert: Herr Müller hat ganz offensichtlich einen Lehrstuhl inne. Möglicherweise an einer deutschen Universität.

Was machen wir nun mit unserem gelangweilten Herrn Müller? Denn das Wort “Freizeit” steht nicht etwa in Hochkommata geschrieben, weil der Autor noch back-up Satzzeichen übrighatte. Nein! Dieser werte Herr dürfte dort auf seinem Mahagonisessel eigentlich gar nicht in die Bredrouille kommen, sich aufgrund übermäßiger Freizeit langweilen zu müssen. Denn seiner Berufung (und dem Stellenprofil) folgend ist der Professor an und für sich noch zu viel Höherem berufen. Halten Sie sich fest: Herr Müller hat einen Forschungsauftrag. Einfach so. Und genau hier startet das Dilemma des Herrn Müller. Aber dazu gleich mehr. Denn noch langweilt sich der werte Herr… und schaut schlau aus dem Fenster.

Was tun nun sehr, sehr intelligente Menschen, wenn ihnen langweilig ist? Richtig! Das gleiche wie alle anderen Menschen auch. Facebook. Und so loggt sich Herr Müller in sein Facebook Profil ein, schaut schlau auf den Bildschirm und surft durch die Welt seiner schlauen, titeltragenden Freunde. Mal wieder ganz vorne mit dabei: Herr Wolf. Forscht natürlich ebenfalls. Herr Wolf ist studierter Ingenieur. Spezialisiert auf Weltraumtechnik. Herr Wolf forscht für die ESA, das Europäische Raumfahrtinstitut. Was er dort im Detail so macht, darüber darf Herr Wolf natürlich nicht reden. Weltraumanzug, Konzepte zum “Asteroid Mining”, Lichtschwerter oder WARP-Antriebe. Irgendwie sowas. Auf jeden Fall irgendetwas, dass die Menschheit zukünftig befähigt, in die Tiefen des Weltalls vorzudringen. Während Sie sich eine Träne der Dankbarkeit aus dem Augenwinkel kneifen und an ihren Helden denken: dieser Herr Müller… wo wären wir nur ohne ihn?

Klick! Next… Inge Peters… Hach ja… Frau Peters… Herr Müllers Jungendliebe arbeitet am Projekt ITER und treibt dort die Forschungsarbeiten für die nächste Generation energieerzeugender Kraftwerkstypen voran. Kernfusion. Wenn’s funktioniert, hat die Menschheit ihr Energieproblem ein für alle Mal gelöst. Liebe, Frieden, Ringelpietz mit Anfassen und mittendrin Frau Peters. Ihr Konterfei auf jedem Zahlungmittel. Kinder wird man nach ihr benennen. Töchter, Söhne… egal. Hauptsache Inge.

Herr Müller resigniert nach nur zwei Profilen und schließt den Browser. Nicht nur, um der Facebook-Depression zu entgehen, denn er weiß, dass ihn hier nur noch mehr CERN, Quantenphysik und Sinnhaftigkeit erwarten. Nein, zu schmerzlich sind auch die Erinnerungen an Frau Peters. Diese Inge, der heiße Feger. Da könnte sich das latschentragende Piepenkötter-Fräulein mal ne Scheibe von abschneiden… Ach nee… die ist ja Veganerin. Auch das noch…

Herr Müller lehnt sich also mittelmäßig deprimiert zurück und denkt scharf nach. Er, der HR Professor. Über Forschungsaufträge. Denn auch er will endlich bahnbrechende Manifeste veröffentlichen! Manifeste, die unser menschliches Dasein in ihren Grundfesten erschüttern!

…oder unser berufliches Dasein…

…oder zumindest das von HR…

…mindestens…

So reflektiert Herr Müller zunächst einmal über seine vergangenen “Forschungen”. Keine ganz so gute Idee… denn betrübt und ernüchtert stellt er fest, dass bisher nichts davon auch nur annähernd das menschliche Dasein erschüttert hat. Auch nicht das berufliche Dasein. Noch nicht einmal das Dasein von HR. Forschungstechnisch ist da definitiv kein Laserschwert in Sicht. Noch nicht mal ein Teelicht. Armer Herr Müller…

Und als sei das alles nicht genug, trifft sie ihn wieder. Wie ein Faustschlag ins Gesicht. Diese alte Geschichte, die seinem titelstrotzenden Ego einen so empfindlichen Dämpfer verpasst hat… Es ist nämlich mit Nichten so, dass Herr Müller nicht auch schon fleißig geforscht hätte…

Sinnkrise – Nachhaltigkeit – Dave Ulrich. Es hätte so schön sein können. In einer Liga mit den Wolfs, Maiers und Peters. Auf Augenhöhe. In Weltraumanzügen im HR Himmel.

Denn eins scheint klar: HR befindet sich offensichtlich immer und ständig und seit Anbeginn der Zeitrechnung in der Sinnkrise. Und das kann man grundsätzlich hervorragend für Forschungsarbeiten heranziehen. Dachte sich Herr Müller. Auch das gute, alte Dave-Ulrich Model stand massiv in der Kritik. Die Kritik stammte sogar von niemand geringerem, als dem Schöpfer selbst – der zugegebenermaßen bei der Namensgebung nicht sonderlich einfallsreich war. Und Nachhaltigkeit geht ja sowieso immer. Das Dreigestirn aus Nachhaltigkeit, Sinnkrise und Dave-Ulrich 2.0 (oder lieber 4.0 – oder gar XYZ?) KANN nur zu einem fundamentalen Erfolg werden! Herr Müller sah sich bereits, wie er feudal, ruhm- und Rum-reich in die Annalen der Wirtschaftsweisen eingeht. Vor seinem inneren Auge reckte er mindestens das Bundesverdienstkreuz der jubelnden Menge entgegen.

Und so begab es sich zu jener Zeit, dass Herr Müller repräsentative Studien durchführte, seinen Studenten Themen für Bachelorthesen und Masterarbeiten stellte, Unternehmen befragte und in engster Kooperation mit Beratern und Dienstleistern Hand-in-Hand zusammenarbeitete. Herr Müller war sich so sicher!

Doch rückblickend betrachtet war’s dann eher Mopsgeschwindigkeit, als WARP-Antrieb. HR wollte sich nämlich partout nicht den Hut für das recycelte Klopapier aufsetzen lassen. Das war für Herrn Müller schon alles schwer irritierend. Kein Pulitzer Preis. Noch nicht mal ein bisschen. Schon wieder nicht.

Nun aber genug in alten, schmerzlichen Gedanken geschwelgt, denkt sich Herr Müller. Frisch ans Werk! Dieses Mal muss es einfach klappen! Denn jetzt geht’s rund. Setzen Sie sich Ihren Integralhelm auf, schnallen Sie sich an und halten Sie sich fest. Herr Müller hat DAS Thema schlechthin für sich und den HR Kosmos entdeckt. Hurra! Digitalisierung. ER wird HR nun den Pfad für den Weg ins digitale Zeitalter ebnen! Er sieht es schon vor sich. Die digitale Revolution. Digital Natives. HR Cloud. Crowd Sourcing… Und er mittendrin. Der Held, der die HR Nasen auf den Pfad der Tugend führt. Wie er zusammen mit Dave Ulrich Hand in Hand in den Sonnenuntergang reitet. Also ab dafür und losgeforscht.

Was Herr Müller allerdings mal wieder nicht bedacht hat: HR ist schon lange digital. Jaja, ich weiß… Gewagte These.  Klingt komisch, ist aber so. Von Papierakten mal abgesehen läuft in der HR Welt eines Durchschnittsunternehmens schon heute vieles nicht mehr per Schiefertafel und Brieftaube. Man mag es kaum glauben aber schauen Sie sich eine durchschnittlich gut aufgestelltes HR mal an. Finden Sie wirklich, dass das in Summe jetzt alles komplett “undigital” ist? Ich nicht. Zumindest nicht der HRs die mir bisher so untergekommen sind.

Klar: Auch da ist noch Luft nach oben und selbst bei den Besten der Besten geht’s immer noch ein Quäntchen besser. Jetzt aber schon wieder die HR Revolution auszurufen, lässt sich ganz gut mit den Begriffen “Windei”, “Luftschloss” und “Hirngespinst” beschreiben. Insbesondere dann, wenn wir über (Grundlagen)forschung sprechen.

Buzzwords rund um Digitales HR erfreuen sich gerade erschreckender Beliebtheit. Tendenz steigend. Ich bleibe allerdings bei meiner Prognose “Windei”. Die Herr Müllers dieser Welt scheinen gerade einem nicht unerheblichen Maß an Freizeit Herr werden zu müssen und beglücken die HR Welt somit – ob sie es will, oder nicht.

Im Bereich der Geisteswissenschaften über die klassische Definition des Begriffes “Forschung” zu sprechen fand ich schon immer ein wenig fragwürdig, um nicht “absurd” zu sagen. Blicken Sie doch einmal auf die großen Hype-Themen der letzten Jahre zurück. Welche geistigen Ergüsse aus dem HR-Forschungsbereich haben es denn wirklich über einen kurzweiligen Hype hinaus geschafft? Und jetzt akzeptieren wir offensichtlich, neben abstrusen HR-Forschereien, auch noch “Forschungs”arbeiten zu einem Thema, das auch unter der Überschrift “Voranschreitende technologische Entwicklung seit der Erfindung des Mikrochips” laufen könnte. Na herzlichen Glückwunsch…

An dieser Stelle möchte ich ausnahmsweise einmal den Spiegel zitieren, der sich in seiner Onlineausgabe vor einigen Jahren bereits zu dem Thema Forschungsmüll ausgelassen hat:

[…] “Der Druck, in diesen Magazinen zu publizieren, verleite dazu, eher angesagter statt wirklich wichtiger Forschung nachzugehen. Die Chefredakteure seien “keine Wissenschaftler, sondern Fachleute, die Furore machenden Studien den Vorzug geben und dabei so restriktiv vorgehen wie Modedesigner bei Limited-Edition-Handtaschen”

Wunderbar! Eines meiner unangefochtenen Lieblingszitate. Nun ist alles gesagt. Die Geschichte von Herrn Müller endet nun. Zumindest hier.

Im Übrigen heißt Herr Prof. Dr. Dr. rer. nat. Müller natürlich gar nicht Müller. Sondern anders. Suchen Sie sich was aus.

3 thoughts on “HR, Forschungsmüll und Herr Müller.

  1. Es ist eine Crux, dass man für tiefgründige oder intelligente Arbeit nicht so viel Aufmerksamkeit erhält wie für ein Katzen-Gif 🙂
    Aber da muss man sich die Motivation halt wo anders hernehmen oder eben resignieren und auf Facebook surfen. Hey die Heidi hat geheiratet …. Mist ….

    1. Ja, leider ist das so… Aber hey! Katzenbabies sind ja auch voll süß! 4.345.876 likes dafür!
      Und zack: Sind wir bei einem Grundsatzproblem unserer Gesellschaft angekommen. Aber das werden wir wohl in diesem Leben nicht mehr geköst bekommen 😉
      Danke für deinen Kommentar!

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