Lassen Sie mich durch… ich bin Headhunter!

Lassen Sie mich durch… ich bin Headhunter!

Es ist wieder einmal einer dieser Tage… Kurz nachdem ich die Augen geöffnet habe, überkommt mich die schonungslose Gewissheit: Das ist nicht mein Tag! Und dabei hatte ich bisher noch nicht einmal die Chance, mit dem falschen Fuß aufzustehen. Meine Motivation sitzt ihrem imaginären Schaukelstuhl und schmollt vor sich hin, mein Engagement rennt fuchtelnd und laut lachend vor dem Sonnenaufgang davon. Und ich…? Ich muss trotzdem raus aus den Federn. Da hilft auch alles snoozen und nörgeln nichts. Es wartet: Das tägliche Prozedere. Kaffee, Laptop, E-mails checken, mit dem Feel Good Manager einen Topflappen häkeln, Meetings, RfP’s und 90-minütige Telefonkonferenzen in denen ich 89 Minuten auf Stumm geschaltet bin… Doch was ist das? Ein verheißungsvoller Betreff springt mich an:

„Eine spannende Herausforderung wartet auf Sie“

Na ist denn heut’ schon Weihnachten? Großartig! Ich. Will. Spannung! Ich liebe Herausforderungen… Sie! Huch, das bin ja ich! Das könnte meinen Tag doch noch retten. Vielleicht. Vielleicht? Vielleicht! Denn natürlich ahne ich es schon: Es ist wieder einmal einer dieser Tage. Einer dieser Headhunter Tage.

Bevor wir nun zum eigentlichen Thema kommen, möchte ich den im folgenden beschriebenen „Spezialisten“ zur allgemeinen Klarstellung noch einmal (und natürlich völlig subjektiv) charakterisieren. Ich bediene mich dafür zur Veranschaulichung eines einfachen aber mehr als naheliegenden Vergleiches:

Es war einmal ein Makler…

Meine Familie und ich sind vor einigen Monaten umgezogen. Unser neues Heim war nach einem Marathon aus Recherche über Wohnorte, Ortsteile und Wohnungen irgendwann gefunden. Wochen voll von Entscheidungsmatrix, Blut, Schweiß, Tränen und versöhnlicher Einigung später: Das Objekt unserer Begierde war gefunden, wurde besichtigt, für großartig befunden und daraufhin angemietet. Einziger Haken: Der administrative Prozess wurde von einem Immobilienmakler begleitet. Und Sie ahnen es; der hat mich bei Vertragsunterschrift stattliche 2,38 Monatsmieten gekostet. Da möchte ich mich auf die Knie in den Staub schmeißen, die Arme gen Himmel recken und laut und verzweifelt “WARUUUM?!” und “WOFÜÜÜÜR!?” rufen. Fassen wir mal zusammen, wofür ich mein hart verdientes Geld investiert habe. Der Makler hat:

  • Wohnung besichtigt, schlechte Fotos gemacht (Hier ein Bild von einer Ecke!)
  • Hübsch aufbereitete Informationen zum Objekt vom aktuellen Mieter/Eigentümer entgegengenommen und in einem einschlägigen Internetportal zur Verfügung gestellt
  • Gewartet…
  • Besichtigungstermin abgehalten (Sammeltermin natürlich, damit es bloß nicht zu aufwändig wird)
  • Vertragsentwurf, der natürlich eine Gratis-Vorlage aus dem Internet ist, an Gegebenheiten angepasst
  • Kassiert

In diesem Falle hat der Vermieter selbst ALLE weiteren Aufgaben und Folgetermine selbst übernommen. Pünktlich zur Schlüsselübergabe war dann auch der freudestrahlende Makler wieder mit von der Partie…

So. Und jetzt ersetzen Sie doch bitte mal Vermieter durch Unternehmen, Makler durch Headhunter und Mieter durch Kandidat. Herzlichen Glückwunsch! Ich stelle vor: Der Klischee-Headhunter:

Bevor es losgeht:

  • Selbstständig machen, weil das Geld auf Straße liegt und Start-Ups gründen ja sowieso voll im Trend liegt
  • Klüngeleien und Vetternwirtschaft starten (Okay, das lasse ich noch durchgehen)
  • XING / LinkedIn Mitgliedschaft (Echte Profis entscheiden sich an dieser Stelle sogar für die Premium-Mitgliedschaft!)

Auf ins Gefecht:

  • Unternehmenshomepage kurz durchgesehen
  • Die vom Unternehmen hübsch vorbereitete Anforderungsanalyse erklären lassen und den absoluten Durchblick suggerieren (Fortgeschrittene lesen angeblich sogar das Stellenprofil)
  • Schlagworte identifiziert (Per se jedes Wort, das mit einem Großbuchstaben beginnt)
  • Auf Basis dieser Schlagwortliste völlig sinn- und verstandsfrei ALLE Mitglieder von Xing, LinkedIn, Facebook und schülerVZ anschreiben, die irgendwo in Ihrem Profil z.B. „SAP BW“ hinterlegt haben. Oder ein A im Vor- und/oder Nachnamen haben. Irgendein Dummer wird sich schon finden
  • Gesucht: Senior Principal SAP BW Consultant for Lightning and Strike Detonation
  • Gefunden: Hildegard Piepenkötter – Hatte mal eine SAP Anwenderschulung im Jahre 1987
  • Völlig sinnbefreite Massenansprache ALLER gefundenen “Kandidaten”
  • Sich wundern, dass niemand sofort sabbernd Interesse bekundet…
  • Zentrale des derzeitigen Arbeitgebers anrufen und sich eine hanebüchene Geschichte ausdenken um an den Kandidaten ran zu kommen.
  • Sofern man es bis zum Kandidaten geschafft hat wird folgendes Telefonat geführt:
    • Was verdienen Sie derzeit?
    • Das Unternehmen MÜSSEN Sie kennenlernen (Ich verrate Ihnen den Namen noch nicht, es ist aber “namhaft”)
    • Die Unternehmenskultur dort ist so UNGLAUBLICH toll (Hier fallen dann Keywords wie “Feel Good”, “Work-Life-Balance”, “Workation” etc…)
    • Der Chef ist übrigens auch “namhaft”. Der Vorstand, der Aufsichtsrat, Der Betriebsrat und der Hausmeister sowieso. Versteht sich von selbst. Alle “namhaft”.
    • Welches Gehalt wollen Sie verdienen
    • Dieses Gehalt KÖNNEN sie dort verdienen (Also… in 10 Jahren, aber das erzähle ich Ihnen jetzt nicht)
    • Entspricht GENAU Ihrem Profil und praktischerweise HAARGENAU ihren Gehaltsvorstellungen
    • Was müsste das Unternehmen Ihnen bieten, damit Sie wechseln?
    • Hatte ich schon gefragt, was ihr Wunschgehalt ist?
    • Darf ich noch mal das Thema mit der Unternehmenskultur erwähnen?
    • Schicken Sie mir doch bitte Ihren Lebenslauf, alle Zeugnisse und Liebesbriefe der letzten 25 Jahre
    • Ach, Sie haben gar kein Interesse? Naja, dann machen Sie doch trotzdem mit und testen Ihren Marktwert!
  • Kandidat an einstellenden Manager weitergeleitet
  • Gewartet
  • s.o.

So! Da haben Sie’s… und auch wenn es sich hierbei natürlich um eine überspitzte Zusammenfassung aller möglichen Klischees handelt… leider passiert es so, oder so ähnlich tagtäglich. Und manchmal passiert es eben mir. Und ich stelle erschüttert fest: Damit verdienen Leute einen Haufen Geld…

Zuweilen muss ich mich derzeit häufig fragen wo die überhaupt alle herkommen? Es scheint irgendwo eine dermaßen riesige und nicht versiegende Quelle an Headhuntern und zugehöriger Recruiting Unternehmen zu geben, dass einem beinahe angst und bange werden könnte. Das Ganze scheint ein ziemlich lukratives Geschäftsmodell zu sein. Oder vielleicht doch ein Sammelbecken für gescheiterte Existenzen?

Erschwerend kommt hinzu, dass viele dieser Headhunter und Personalvermittler einen Schreibstil haben, der seinesgleichen sucht. Ich habe schon so ziemlich alles gesehen: Von Texten die vor Rechtschreibfehlern nur so strotzen, über 1:1 Google-Translate-Übersetzungen, bis hin zum Schreibstil á la „Umi sucht Ida“. Da erinnere ich mich direkt wieder an die Fotos der Fensterbank unserer neuen Wohnung. Fürchterlich…

Ich möchte jetzt und hier all diesen Dilettanten gern Folgendes mit auf den Weg geben:

Lassen Sie mich gefälligst in Ruhe. Auch oder gerade wenn es wieder einer dieser Tage ist, an denen eh schon alles Grütze ist. Hören Sie auf, meine Zeit zu verschwenden!!! Sofort!!! Ich möchte das nicht. Nein heißt nein! Und wenn das so weitergeht, montiere ich mir eine Armlänge Abstand an mein Social Media Profil. Das haben Sie dann davon…

Beruf kommt von Berufung und Berufsethos scheint mir leider in diesem Falle eine seltene Tugend geworden zu sein.

Ein wichtiger Hinweis zum Schluss

Ich stelle nicht alle Personalvermittler (oder Immobilienmakler) unter Generalverdacht! Um dem (begründeten) Vorwurf der Pauschalisierung präventiv entgegen zu wirken, sei mir noch folgende Randnotiz erlaubt: Mir war und ist es immer daran gelegen ein Netzwerk aus professionellen Personalvermittlern zu etablieren und zu halten. Ich kann mit Fug und Recht behaupten, dass mir das auch ganz gut gelungen ist. Meine Jobwechsel wurden bisher in der Tat von Headhuntern initiiert und/oder begleitet. Und zwar professionell, objektiv und kompetent. Ich denke, dass es hier grundsätzlich eine gute Ergänzung zum klassischen Recruiting der Unternehmen geben kann… wenn man diesen Job, die suchenden Unternehmen und die Kandidaten ernst nimmt. Eine Xing- und LinkedIn Mitgliedschaft ist an dieser Stelle leider nicht ausreichend.

So. Rant zu Ende.

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