Ohne meinen Change Manager sag’ ich nix!

Ohne meinen Change Manager sag’ ich nix!

Szene 1

Meeting Raum Sankt Moritz. Ich stehe auf einem Stuhl. Auf einem Bein. Meine gesamte Konzentration geht dafür drauf, nicht schwankend von besagtem Sitzmöbel in einen tragischen Unfalltod zu stürzen. So ein Halswirbelbruch bringt einen bekanntermaßen nicht wirklich weiter. Glücklicherweise steht aber einer meiner geschätzten Kollegen neben mir und bringt mich immer wieder in meine “Gleichgewichts-Komfortzone”. Meine Schaukelfrequenz entwickelt ein Eigenleben und während mein Kollege an mir rum-laboriert überlege ich mir, wann ich eigentlich das letzte Mal Sport gemacht habe. Vor mir turnt meine Kollegin beifallheischend einen Yoga-Kranich auf ihrem Stuhl und man möchte ihr fast noch eine volle Tasse Kaffee und drei Gänseküken auf den Kopf setzen, um den nachhaltigen Beweis anzutreten, WIE toll sie das kann. Einziger Verlierer: ihr arbeitsloser “Gleichgewichts-Komfortzonen”-Kollege, der bedröppelt und neidisch zu uns rüber schaut. Und ich natürlich…

Szenenwechsel.

Menschen stehen im Kreis. Draußen. Ratlos. Irgendwo ruft ein Käuzchen. Einer der Menschen – Sie ahnen es schon – bin ich. Die anderen sind: Tadaaa… meine Kollegen. Und während wir da so stehen, werfen wir uns Baseball-Bälle zu. Die Zeit vergeht (Gott sei Dank) während ich mich frage, was genau ich hier jetzt eigentlich tue. Sukzessive werden immer mehr Bälle dem lustigen Treiben untergejubelt. Ich bin mitten im: “Ich-werfe-dir-den-Ball-zu-und-sage-dabei-deinen-Namen”-Spiel. Ein Kollege am Kopf getroffen. Wir hören auf. Das Käuzchen liegt lachend am Waldboden.

Noch ein Szenenwechsel.

Ich befinde mich erneut in besagtem Meeting-Raum. Und die Bemerkung sei erlaubt: die Benennung “Sankt Moritz” ist blanker Hohn. Damit hat dieser Meetingraum ungefähr so viel zu tun, wie ich mit einem Yoga-Kranich. Sei’s drum. Meine Fingerspitze berührt nämlich das Ende eines Kugelschreibers. Ja, Sie haben richtig gelesen. Und damit nicht genug: das andere Ende des Kugelschreibers berührt den Zeigefinger meines Kollegen. Ich soll führen. Ich soll kreisen. In kreisenden Bewegungen soll ich meinen Kollegen führen. Merken Sie was? Ja, ich auch. Ich fühle mich EXTREM unwohl bei der Vorstellung. Next Level für extraordinary overperformer: Ich steige auf den altbekannten Stuhl und versuche dabei, meinen Kollegen weiter zu führen. Zum Glück hat noch keiner von uns beiden gestöhnt…

Letzter Szenenwechsel

Blitzlicht! Das heißt jetzt offensichtlich so… Gemeint ist eine kurze Feedbackrunde. Könnte man ja auch einfach mal so nennen, aber dann wär’s ja nicht mehr innovativ. Ich mühe mir eine kleine Notlüge ab und übergebe schnellstens an den Sitznachbarn, damit niemandem meine langsam aber stetig wachsende Pinocchio-Nase auffällt. Ich habe lediglich kleinere Seitenhiebe im Subtext verteilt. Blitzlicht! Zack, nun ist eine meiner geschätzten Kolleginnen dran. Ja genau… der Yoga-Kranich “Total genial, ich habe super LEARNINGS mitgenommen!”

Für den Bruchteil einer Sekunde überkommt mich der Drang, die Kollegin einfach kommentarlos auf ihrem Stuhl aus dem Raum zu schieben, die Türe zu schließen, mich wieder hinzusetzen und so zu tun als wenn nichts gewesen wäre. Das wäre der Situation angemessen. Und die Gesichtsausdrücke aller verbleibenden Anwesenden wären vermutlich unbezahlbar… Aber es ist, wie es ist. Ich mache natürlich nichts dergleichen.

Rückblick

Die beschriebenen Szenen stammen aus einem Lessons-Learned-Workshop. Und ob Sie es nun glauben oder nicht: Meinen grundsätzlich latent vorhandenen Hang zur maßlosen Übertreibung musste ich hier überhaupt nicht bemühen. Das Ganze hat tatsächlich genau so stattgefunden. Bis auf das lachende Käuzchen vielleicht.

Lessons-Learned-Workshops gehören ja nun schon seit einer geraumen Zeit zum Standardrepertoire aller Teams auf diesem Erdball. Seien es nun Projekte, RfPs oder sonst irgendwas. Alles wird am Ende  “ge-lessons-learned”.

Darüber darf man ruhig differenzierte Meinungen haben, denn ist wirklich schon mal etwas Bahnbrechendes bei diesen Sessions herausgekommen? Richtig. Außer “weniger Hierarchien”, “mehr Teamzusammenhalt”, “klarere Dokumentation” und allgemeinem Beifallgehasche (ICH hab meinen Part total supi erledigt…) kommt am Ende des Tages meistens sowieso nichts dabei raus. Und das sind nun wirklich keine bahnbrechenden Erkenntnisse. Wenn doch: mein Beileid und Bitteschön! Dass “Der Müller ein unproduktiver Arsch” ist, traut sich ja eh’ keiner anzubringen. Flurfunk mal außen vor gelassen… Ich schweife aber ab, denn darum geht es hier gar nicht…

Also: Eine “Lessons-Learned”-Veranstaltung impliziert ja nun, dass im Rahmen dieser, bestimmte Missstände aufgedeckt, thematisiert und besprochen werden. Als Resultat soll bestenfalls eine Handlungsempfehlung ermittelt werden – damit wir beim nächsten Mal nicht schon wieder derart deppert vor die Wand laufen. Rückwärts und mit verbundenen Augen. Mehrfach. Soweit, so gut. Und so sinnvoll.

ABER: Diese Resultate bringen konsequenterweise Veränderungen, also einen “Change” mit sich. Und genau aus diesem Grund hatte man sich wohl im Vorfeld überlegt, dass die Beauftragung eines externen Moderators, eines “Change Managers”, eine prima Idee ist.

Besagter Change Manager konzentriert sich nun berufsbedingt nicht nur auf:

  • Was ist gut gelaufen?
  • Was ist schlecht gelaufen?
  • Wie können wir besser werden?

sondern auch auf die, extra von ihm so wunderhübsch ausgedachten, “Change-Spielchen”, die ich ja einleitend bereits exemplarisch beschrieben habe. Ich frage mich heute noch, welche “Learnings” meine besagte Kollegin da so mitgenommen hat… Ich hoffe inständig, dass ich einfach nur zu blöd bin, um den tieferen Sinn in seiner vollen Pracht zu erfassen. Und außerdem hoffe ich, dass sie nicht “Wer-zusammen-arbeitet-kann-mehr-erreichen”-Learnings mitgenommen hat. Das fände ich tragisch, erschütternd, mitleiderregend und traurig. Für sie.

Egal wo man hinkommt, egal wo man sich umschaut: Überall gastieren Heerscharen von Change-Clowns mit Moderationskoffern voll von Kinderspielzeug und Post-Its in allen erdenklichen Farb- und Größenkombinationen. Keine Gelegenheit wird ausgelassen, um sich bei jeder noch so unpassenden Gelegenheit nachdringlich aufzudrängen, lustige Hüte zu verteilen und allen Anwesenden mit pseudo-psychologischen Sing- und Klatsch-Spielen auf die Nerven zu gehen. Der Change muss schließlich gemanaged werden. Das Meeting bedarf eindeutig mehr konspirativer Energie! Alle Projektmitglieder müssen sich auf psychedelischer Ebene näher kommen! Lasst Senior Manager Probleme mit Bauklötzen nachbauen! Jedes noch so erdenklich abwegige Thema KANN überhaupt nur angegangen werden, wenn vorher 14 Runden Ringelpietz mit Anfassen gespielt wurden! Mein Förmchen, dein Förmchen. Show me yours, I’ll show you mine.

Ich frage mich: Wie haben wir eigentlich Probleme gelöst, bevor sich überall auf diesem Planeten die Change-Management-Zirkusse niedergelassen haben? Einfach so? Gar nicht?

Und an dieser Stelle erinnert mich dieser Blogpost an einen unserer Artikel aus der Vergangenheit. Gemerkt? Richtig! Die Nummer mit dem Feel Good Manager! Damals haben wir, zugegebener Maßen recht provokativ, behauptet, dass der Feel Good Manager die Motivationsaufgaben von Führungskräften als Outsourcer entgegen nimmt. Ist es vielleicht möglich, dass die Change-Zirkusse die zweite zentrale Säule der Führungskultur übernehmen?

Konfliktmanagement und der Spagat zwischen Mitarbeiterführung und Unternehmensentscheidungen

Mimimi: Führungskräfte haben es aber auch einfach nicht leicht heutzutage! Zum einen müssen sie Entscheidungen, die 4 Etagen über ihren Köpfen getroffen wurden, umsetzen und zum anderen müssen sie ihre Mitarbeiter bei der Stange halten. Dass dieser Spagat ein enormes Konfliktpotential bietet ist ja hinlänglich bekannt und dürfte selbst jedem BWL-Erstsemesterstudenten bekannt sein. Aber zum Glück gibt es ja die Change Manager! Grämt euch nicht! Die changen, was das Zeug hält. Die helfen dem Management z.B. dabei, die Mitarbeiter so schnell über den Tisch zu ziehen, dass die Reibungshitze als Nestwärme empfunden wird. Ruhiger Schlaf für das Management inkludiert. Den unangenehmen Teil übernehmen ja jetzt die Profis.

Jetzt mal ernsthaft: That’s part of your f***ing job!

Auch das Konfliktmanagement im kleinen Meetingkreis wird wohlwollend and die Change-Truppe ausgegliedert. Jedes noch so kleine Zusammentreffen das auch nur das geringste Konfliktpotential bieten könnte, wird extern moderiert damit der Moderator die Teilnehmer so lange mit Akrobatikübungen, Fummeleien, Meditation und Bauklotztürmen weichspühlen kann, dass jeder Teilnehmer vergisst, warum er eigentlich hier ist und welche Meinung er mit Nachdruck vertreten wollte. Hauptsache alle haben sich lieb! Gemeinsam sind wir stark. Und auch ein Trottel will dazugehören. Im nächsten Leben werde ich Käuzchen.

Political Correctness

Mich beschleicht so langsam das Gefühl, dass Konflikte, ob nun persönlicher oder beruflicher Natur, in Gänze unterbunden werden müssen. Streiten, laut diskutieren und wild gestikulieren, die Meinung gegen eine Überzahl brennend vertreten oder Angriffsfläche bieten: All das scheint zunehmend verpönt zu sein.

Klar: Wer sich in der Konfliktspirale auf dem Weg nach unten befindet muss irgendwann auf neutrale Konfliktbewältiger zurückgreifen. Aber diese Mentalität, bie der jedwedes theoretische Konfliktpotential sofort im Keim ersticken wird, halte ich für vollkommen falsch.

Man darf ruhig (konstruktiv) laut werden und man darf sich ebenfalls mal so richtig schön streiten. Das gehört dazu. Privat sowie beruflich. Stellen Sie sich doch mal vor, wie bei jedem Streit / Meinungsverschiedenheit im privaten Umfeld der Change Manager wie Dschinni aus der Lampe erscheint und eine noch nicht existente Diskussion mittels irgendwelcher banaler Spielchen im Keim erstickt. “So, wir töpfern nun mal die Gefühle desjenigen, der links neben uns sitzt.”. Nein Danke! Doofheit kann man nicht töpfern.

 

 

 

3 thoughts on “Ohne meinen Change Manager sag’ ich nix!

  1. Ich wünschte, ich könnte etwas Konstruktives hier beitragen, aber außer einem Nicken kommt nichts rum 😉
    Mein Ex-Arbeitgeber mochte auch solchen Quatsch und solche Teambuilding-Maßnahmen standen jedes Jahr auf dem Plan. Mehr als Langeweile und Frust, weil sich die Arbeit während unserer Abwesenheit stapelte, wie sonst was, habe ich keine Lessons gelernt…
    Zum Glück ist mein aktueller Arbeitgeber nicht die Bohne an sowas interessiert.
    Viele Grüße
    Maria

    1. Hallo Maria und Danke für deinen Kommentar. Du sprichst hier, wie ich finde, noch ein ganz wichtiges Thema an: Eigentlich können wir, während wir uns auf einer psychedelischen Reise auf einer Metaebene in Glitzer-Prinzessinnen-Tal befinden, effektiv und effizient daran arbeiten unseren Job zu machen. Teamgeist und -spirit, Unternehmenskultur und / oder Selbstfindungen erlernen wir auf solch gekünstelten Veranstaltungen nicht.

    2. Anna

      Hi Maria! Danke für deinen Input… und auch, wenn wir hier sicherlich polarisieren: es ist schön zu sehen, dass wir mit unserer Einschätzung nicht allein sind. Und es geht hier nicht um ein sinnvolles Vorbereiten, Durchführen oder ‘managen’ von Veränderungsprozessen, sondern um besagte und arbeitszeitverschwendende Hampeleien. Viel Glück mit deinem neuen Arbeitgeber und hoffentlich weiterhin eine gesunde Einstellung zu Zappelspielen. Anna

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