Kultur des Scheiterns – Das Bauer-sucht-Frau Phänomen

Kultur des Scheiterns – Das Bauer-sucht-Frau Phänomen

Vorab muss ich fairer Weise zugeben: Ich bin mir bei dem Thema auch nicht so wirklich sicher. Während ich nun hier sitze und mir die ersten strukturierten Gedanken dazu mache, ob es wirklich einen mehrwertbringenden Bedarf für eine Kultur des Scheiterns gibt fällt mir auf, dass mir für beide Seiten das eine oder andere Argument einfällt.

Also los! Hefte raus, Klassenarbeit! Schreiben wir eine Erörterung…

Eine immer größer werdende Masse in Deutschland fordert, dass wir mehr über das berufliche Scheitern sprechen müssen. Bis dato war das öffentliche Commitment zum eigenen Scheitern eher verpönt. Ich vermeide zunächst einmal die Formulierung “die öffentliche zur Schaustellung”. Der Pranger kommt später.

Mag an unserer Kultur liegen. Der effiziente und effektive deutsche Dichter, Denker und Ingenieur scheitert nicht! Und wenn er dann doch einmal scheitert, dann tut er das heimlich. Und leise. Wer zu laut wimmert wird gefressen, denn Scheitern ist keine Option. Genau diesen Missstand (sollte es sich denn um einen solchen handeln) möchte nun der wachsende “Pro-Kultur-des-Scheiterns”-Mob bekämpfen. Raus mit euren Geschichten wie ihr mit euren hippen Start-up Ideen auf die Nase gefallen seid! Erzählt uns davon, wie ihr das seit 17 Generationen bestehende Familienunternehmen gegen die Wand gefahren habt und nicht nur euch sondern den gesamten Familienclan in den finanziellen Ruin getrieben habt! Wir sind brennend daran interessiert, wie euch der eigentlich vertrauenswürdige Geschäftspartner und Mitgründer eures Unternehmens über’s Ohr gehauen und euch vom Hof gejagt hat. Dem eigenen Hof.

Aber vor allem wollen wir wissen, wie ihr euch danach am eigenen Kragen wieder aus dem Dreck gezogen habt. Wie der Banken-CFO, der inmitten der Wirtschaftskrise gefeuert wurde, nach 2 Jahren zu sich selbst gefunden hat (Natürlich auch mit eigenem Start-up). Wie der “Vom-Hof-Gejagte” ein Konkurrenzunternehmen gegründet hat und seinen ehemaligen Geschäftspartner per feindlicher Übernahme geplättet hat. Wie aus dem ruinierten Familienunternehmen ein Familien-Imperium wurde. Wie der Phoenix aus der Asche stiegt. Fettgefressen mit Marge, Ruhm, Ehre und einer angemessenen Portion und Schadenfreude!

All das wollen wir von euch wissen! Oder wollen wir das vielleicht doch nicht wissen?

Das mag sich jetzt seltsam anhören, aber die Frage ob wir das nun wissen wollen oder halt auch nicht ist aus zwei Gründen völlig irrelevant. Erstens: Die Frage ist rhetorischer Natur. Natürlich wollen wir das wissen! Von der menschlichen Neugier kann sich nun mal niemand freisprechen. Diese verdammten Gene. Zweitens: Was genau ist denn der Mehrwert der Antwort? 45 Minuten Einzelvortrag des “Gescheiterten”. 30 Minuten Frage-Antwort-Runde. Und jetzt? Richtig…

Bauer sucht Frau…

Warum sind TV-Formate wie “Bauer-sucht-Frau” eigentlich so erfolgreich? Jaja… Das ist alles total lustig und so… “Haste gestern die Szene xyz gesehen”, “Ich musste umschalten, so sehr musste ich mich fremdschämen”, “Die / der ist so hässlich, das gibt’s gar nicht”, ” TV-Formate wie “Bauer-sucht-Frau” sind mit einem nicht zu unterschätzenden Faktor erfolgreich, da sie uns die Chance geben unser eigentliches erbärmliches Dasein für einen Moment zu vergessen.

Es gibt immer einen noch größeren Fisch. Das heißt in diesem Fall: Ach, wie gut das tut! Jetzt kann ich mir wieder 60 Minuten lang Menschen anschauen,

  • denen es noch viel schlechter geht als mir
  • die noch hässlicher sind als ich
  • deren Messiwohnung noch wesentlich übler ist als die Meine
  • deren IQ bei weitem unter meinem liegt

Das hilft dem allgemeinen Wohlbefinden! Zumindest unterschwellig und nahezu unbemerkt. Der Facebook-Depression muss Einhalt geboten und entgegengewirkt werden. Denn jeder der 4.765 Facebook Freunde postet mindestens einmal wöchentlich ein Highlight aus seinem Leben und stellt das Ganze als völlige Selbstverständlichkeit zur Schau. Im Facebook-Newsfeed konsolidiert sich damit ein Gesamtbild von 4.765 reichen, glücklichen, schönen und über ALLES erhabenen Menschen. Und das geht dann jedem der 4.765 Facebook Freunden so.

Wie gut, dass wenigsten das Trash-TV 24/7 noch normale Menschen zeigt. Menschen, denen wenigstens ICH noch überlegen bin. Nach 60 Minuten kann ich mich dann vollständig kuriert und entspannt zurück lehnen. Puh… Glück gehabt. Ich bin offensichtlich doch nicht der Abschaum der Menschheit. Noch nicht.

Und wie hängt das jetzt zusammen?

Besteht vielleicht die Möglichkeit, dass “Bauer sucht Frau” und die “Kultur des Scheiterns” sich aus ähnlichen Gründen einer überdurchschnittlichen Beliebtheit erfreuen?

Irgendwie beschleicht mich das Gefühl, dass es sich bei der vielerorts propagierten “Kultur des Scheiterns” um ein ganz ähnliches Phänomen handeln könnte.

Sich selbst am Kragen aus dem tiefsten Drecksloch zu ziehen, das man sich überhaupt nur vorstellen kann, lernt man dann, und NUR DANN, wenn man gerade drinsteckt und dem Erstickungstot gefährlich nahe ist. Quasi eine Art Nahtoderfahrung. Mit einer an ziemlicher Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit schaffe ich das nicht dadurch, dass ich mir die hirnrissigen Geschäftsideen von mitunter echt schrägen Typen anschaue, mich an deren Misserfolg ergötze und mir danach erzählen lasse, wie sie in ihrem persönlichen Individualfall wieder auf die Füße gekommen sind.

Selbst die kühnste Wiederauferstehungs-Geschichte bringt mir überhaupt nichts. Es sei’ den ich stehe auf der Bühne. Und es ist meine Geschichte. Dann habe ich was davon gehabt. Mein mich in diesem Moment vergötterndes Publikum leider nicht.

Wie können wir aus dem Scheitern anderer lernen? In dem Sie uns im Anschluss Ihre bahnbrechende und natürlich total disruptive Geschäftsidee präsentieren? Ich weiß ja nicht. Mir drängt sich die Vermutung auf, dass es sich dabei wieder nur um einen müden Auswuchs der Leistungsgesellschaft handelt. Wer ist mit größtem Karacho vor die dickste Wand gefahren und wem wird dann der Platinphönix verliehen? Bis wohin darf man sein Scheitern leben und ab wann sollte man vielleicht auch einfach erkennen, dass man selbst das Problem ist…

Auf dem abendlichen Heimweg nach, zum Beispiel, einer Fuckup-Night (Was zum Teufen…?!?) Werden Sie wohlmöglich folgendes feststellen:

Puh, ich bin ja schon oft gescheitert. Aber SO dermaßen wie die auf der Bühne zum Glück noch nicht… Ganz besonders die Hässliche am Schluss war ja ganz schlimm dran. Der ging es ja richtig mies. Daraus kann ich ja zum Glück nur schließen: “Läuft bei mir!”

Tadaaa, und da schließt sich der Kreis… Nix gelernt, aber nun ist der Geist wieder im Stande, sich im eigenen Dreck des Versagens zu suhlen und zu vergnügen. Die Probleme anderer sind ja viel schlimmer, bedeutsamer und existenzbedrohender.

Auf der anderen Seite…

Wir wollen, sollen und müssen lernen. Wir müssen uns trauen und wir sollten daher scheitern dürfen. Oder zumindest einen humanen Umgang damit leben. Schaut man sich hierzu z.B. die Automobilbauer an: Da werden Labs gegründet, in denen hippe und vermutlich ziemlich schlaue Menschen einfach mal drauf losarbeiten dürfen. Ohne an die Prozesse eines Großkonzerns gefesselt zu sein, darf hier frei probiert werden. Je eher man scheitert, desto besser. Aufstehen, Krawatte / Krönchen / Wearable richten, lernen und dann besser, schneller, effizienter und erfolgreicher weitermachen. Tolles Konzept. Wenn man das nötige Kleingeld dafür hat.

Der Unterschied ist hat, dass hier das Scheitern und die Konsequenzen am eigenen Leib erfahren werden. Aus gutem Grund: Das ist der einzige Weg, einen Lerneffekt in Bezug auf das Scheitern herbeizuführen.

Jaja… Das Argument, dass die Scheiter-Geschichten anderer dazu führen, sich selbst mal etwas mehr zuzutrauen, lasse ich gelten. Ich bin ja nicht so…

___________________________________________

Hat Ihnen gefallen, was Sie gelesen haben? Dann teilen Sie den Blogpost liebend gerne mit Ihrem Kontaktnetzwerk über die jeweiligen Buttons (unten). Hat Ihnen nicht gefallen, was Sie gelesen haben? Teilen Sie doch trotzdem und schreiben etwas total Gehässiges!

5 thoughts on “Kultur des Scheiterns – Das Bauer-sucht-Frau Phänomen

  1. Vielen Dank für die spannenden Einsichten. Und für das polarisieren, das in meinen Augen wichtig ist, um einen Diskurs anzuregen. Mich hat der hinkender Vergleich dazu angeregt tatsächlich über den Sinn oder Unsinn einer Fehlerkultur nachzudenken. Und ich bin zu dem Schluss gekommen: eine Kultur des Scheiterns ist durchaus wünschenswert. Der kommunikative Umgang mit dem eigenen scheitern oder dem Scheitern anderer ist das eigentliche Problem. Wenn aus Diskurs und Erfahrungsweitergabe Voyeurismus und Selbstbestätigung werden, geht der Schuss nach hinten los.

    Mir haben dieser Vergleich und die Gedanken drum herum gut gefallen und ich werde ihn sicherlich noch lange mit mir herumtragen und auch hier und dort in meinem beruflichen Kontext Personalmarketing und Employer Branding einbauen. Daher noch einmal vielen Dank.

    1. Hi Jan,

      vielen Dank für dein Feedback! Ja, auch in hinkenden Vergleichen steckt gelegentlich ein Fünkchen Wahrheit. Wie ich ja auch schon geschrieben habe: Ich bin mir ja selbst über Sinn und Unsinn nicht so ganz sicher. Immer noch nicht. Im richtigen Kontext angewandt kann die “Kultur des Scheiterns” ein probates Mittel sein. Inbesondere dann, wenn sie dazu führt, dass man sich einfach mal mehr zutraut. Ich beobachte allerdings, wie bei so vielen Themen, dass diese Hype-Trends “professionalisiert” und der Pudels Kern verloren geht.

      In diesem Sinne, ein schönes, sonniges Wochenende!

  2. Anna

    Danke erstmal: für deinen konstruktiven und ausführlichen Input. Immer wieder spannend zu sehen, dass Themen dazu anregen, in den Austausch zu gehen. Und genau dafür ist dieses Format ja auch gedacht… Nun zu deinem Feedback: wir sind uns schon mal einig – über das Scheitern soll und muss man offen sprechen können. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Misserfolge keinen Platz in unserer Wirtschaftswelt haben und dass wir so auch nur schwerlich daraus lernen können. Und das darin vorhandene Potential zum Lernen und zur daraus resultierenden Vermeidung der Fehler gleicher Natur ist immens. Soweit so gut. Hervorragend sogar, wenn man sieht, dass es dafür mittlerweile Formate gibt – wie z.B. die von dir organisierte Failnight. Eine derartige Kultur sollte auch in Firmen Einzug halten (dürfen). Ein Misserfolg sollte neben seiner Natur als Misserfolg eben wenigstens als Quell für Verbesserung, Entwicklung und Optimierung dienen können. Oder wenistens zur Erheiterung. Man gönnt sich ja sonst nichts. Und so kann man auch dem miesesten und gemeinsten Scheitern noch etwas positives Abgewinnen. Als Versager und als Zuhörer. Allerdings bewegen wir uns auf einem schmalen Grat. Während Firmen sich zunehmend schwer tun, auch nur irgendeine Kultur zu etablieren, boomen Veranstaltungen, auf denen hemmungslos zur Schau gestellt wird. Auf denen man nichts weiter lernt, als dass es immer einen gibt, der doch noch dümmer war. Auf denen Versager sich selbst zum Versagen beglückwünschen. Und wenn man sich mal umschaut: es sind immer die Gleichen… Es ist eben einfach eine Frage von Niveau, was man aus einem Format macht. Und das Scheitern bedarf meiner Meinung nach besonderer Fürsorge. Weil es eben auch besonders viel Potential birgt. Von daher: weiter so… aber bitte ohne Platinphönix 😉

  3. Puh, heute scheint der Tag der Trash-TV-Vergleiche mit FuckUp /Fail Nights zu sein. Nun gut. Lassen wir mal den Aspekt außen vor, dass bei dem einen Menschen vorgeführt werden und sich andere Menschen gezielt auf deren Kosten amüsieren, und konzentrieren wir uns auf die Learnings aus den Scheitergeschichten der anderen. Vorweg sei gesagt, dass ich die Failnights in München organisiere, die Reihe also per se schon mal für großartig halte.
    Vor Kurzem habe ich einen Vortrag bei einem Wirtschaftsforum darüber gehalten, warum man über sein Scheitern reden sollte. Die beiden letzten Punkte waren am Wichtigsten:
    1. Für dich: Über etwas reden hilft immer. U.a. hilft es den Sprechenden dabei, ein Geschehen zu strukturieren und noch mal zu überdenken. Gleichzeitig setzen sie sich damit auseinander, was sie daraus gelernt haben. Das ist wichtig, das sieht man nämlich nicht immer sofort. Zudem hilft es beim Abschließen. Das mal ganz verkürzt zusammengefasst.
    2. Für andere: Du schreibst, dass andere einzig mit dem Learning rausgehen, dass ihr Leben gar nicht so bescheiden ist wie gedacht. Prima, ein Ziel erreicht. Wenn sich die Zuhörer hinterher besser fühlen, perfekt. Sie lernen aber noch mehr. Nämlich, dass es viele Arten des Scheiterns gibt, dass jeder scheitert, sie lernen verschiedene Wege des Umgangs mit dem Scheitern kennen und lernen, dass es nie das Ende sondern oft der Anfang von etwas Neuem ist. Und das hilft langfristig dabei, das Scheitern aus der Tabuzone zu holen. Hinzu kommt, und das ist sehr wichtig und wurde mir schon von einigen Seiten bestätigt: Sollten sie je in einer ähnlichen Situation sein, haben sie bereits Hilfestellung bekommen.
    Ein Beispiel: Der Gründer der Anonymen Insolvenzler hat schon bei uns gesprochen. Jetzt nehmen Betroffene deren Hilfe in Anspruch.
    Du siehst, es hat auch nicht zwingend was mit dem nötigen Kleingeld zu tun. Denn das fehlt dir nach einer Insolvenz definitiv. Und trotzdem gibt es Menschen, die aus dieser Situation heraus was aufgebaut haben. Oder auch nicht. Denen es aber trotzdem wieder gut geht. Scheitern führt nicht automatisch zu Erfolg, auch das lernen die Zuhörer. Platinphoenix? Gibt es nicht.
    Warum der Vergleich zum Trash TV hinkt: Es wird niemand vorgeführt auf der Bühne. Jeder entscheidet selbst, wie viel er erzählt und wie tief er reingeht. Aus “ich hatte eine Depression und war in Behandlung” kann ein “mir ging es in der Zeit nicht so gut” werden, das ist okay. Es gibt auch kein Skript wie bei Reality TV, denn jeder erzählt seine eigene Geschichte genau so wie er sie erzählen möchte. Die Zuschauer kommen auch nicht mit der Intension, sich über die Redner lustig zu machen, wie es diejenigen wollen, wenn sie Bauer sucht Frau und ähnliches einschalten.

    1. Vielen Dank Sabine, für deinen ausführlichen Kommentar. Natürlich hinkt der Vergleich mit Trash-TV ein wenig. Weiss ich. Ist aber ganz bewusst so gewählt und soll zum nachdenken anregen und wir provozieren halt auch gerne ein wenig. Super, damit hätte ich dann mein persönliches Ziel auch schon erreicht. 😉 Ich bin im Grunde trotzdem nicht so ganz deiner Meinung. Ich denke schon, dass nicht genaz verschwindend geringer Anteil auf der Bühne steht um seine Wahnsinns-Geschichte der staunenden Masse zu präsentieren. Wer auf der Bühne steht möchte sich profilieren. Fast immer. Von daher finde ich den Platinphoenix schon ganz treffend. Ausnahmen bestätigen hier natürlich die Regel.

Leave a Reply to Felix Pohl Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.